Konstitutionelle Bisexualität

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  Auszug aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie:

Konstitutionelle Bisexualität war um 1900 ein verbreiteter Begriff. Er bezeichnete, dass bei jedem Menschen zunächst sowohl „weibliche“ als auch „männliche“ Geschlechtsmerkmale vorhanden seien, sich aber nur eine der beiden Anlagen vollständig entwickeln würde, die andere aber nicht vollends verloren gehen würde. Einige Vertreter gingen soweit auszuführen, dass alle Menschen auch im Erwachsenenalter sowohl über „weibliche“ als auch „männliche“ Geschlechtsmerkmale verfügten. An diese Auffassungen schließt auch die so genannte Zwischenstufentheorie an.

Bis in die Antike lässt sich eine Tradition zurückverfolgen, in der die Mischung der Geschlechter thematisiert wird. Platon lässt in seinem Dialog Symposion einen Mythos erzählen, dem zufolge es einst Kugelmenschen gab, von denen manche, die Androgynoi, eine weibliche und eine männliche Hälfte aufwiesen. Die Götter entschlossen sich, die Kugelmenschen in zwei Teile zu teilen. Dadurch entstanden die heutigen Menschen, von denen jeder nun auf der Suche nach seiner verlorenen anderen Hälfte ist.

Auch in anderen Gesellschaften wurden solche Vorstellungen ausgearbeitet, in denen „weiblich“ und „männlich“ stets vereinigt vorkommen – so beispielsweise in chinesischen Beschreibungen des Yin und Yang. Diese alten Traditionen lebten fort, häufig verbunden mit Begriffen wie Androgynie und Hermaphroditismus.

Um 1800 kamen auch in der sich herausbildenden Biologie Vorstellungen auf, dass die geschlechtliche Anlage im Embryo zunächst das Potenzial habe, sich „weiblich“ und „männlich“ zu entwickeln. Erst in der Entwicklung würde sich bei den meisten Menschen eines der Geschlechter deutlich ausbilden; in anderen Fällen – bei Menschen die gleichgeschlechtlich begehrten (heute mit Homosexualität gefasst, allerdings verband man mit gleichgeschlechtlichem Begehren und Sex bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kein identitäres Konzept, sondern lediglich einen Akt) und Hermaphroditismus – würden Mischungen der Geschlechtscharaktere vorhanden bleiben. Einige Autoren sahen diese Mischungen bei allen Menschen, nur in unterschiedlichem Grade, ausgeprägt.

Um 1900 wurde dominant an solche Auffassungen angeschlossen. Es entspannen sich zwischen verschiedenen Wissenschaftlern sogar Prioritätsstreitigkeiten, also Streitigkeiten darum, wer diese Theorie zuerst beschrieben hätte. Diese Streitigkeiten fanden statt zwischen: Wilhelm Fließ, Otto Weininger, Hermann Swoboda und Sigmund Freud. Unter anderem Magnus Hirschfeld verwies allerdings darauf, dass es sich hierbei keineswegs um eine neue „Entdeckung“ handele, sondern dass solche Auffassungen Tradition hätten.

 

 

Magnus Hirschfeld, 1868 - 1935

Magnus Hirschfeld: „Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass schon zufolge der Erbgesetze diese Grundtypen im Grunde nur Fiktionen sind und dass, wenn ein Satz zu Recht besteht, es dieser ist, dass der Mensch nicht Mann oder Weib sondern Mann und Weib ist.(Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, 1923)

„Geschlechtsunterschiede sind Gradunterschiede. Es handelt sich immer nur um  mehr oder minder, um kleiner oder größer, stärker oder schwächer, immer nur um  relativ, nicht absolut Verschiedenes, nie um etwas, was nur dem einen, nicht aber auch dem anderen Geschlecht zukäme. […] Wer beiden Geschlechtern entstammt, enthält beide Geschlechter vereint (Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, 1923)

 

 
 

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